Nationalsozialistische Rohstoffpolitik in der Provinz
Schon kurz nach der Machtübernahme 1933 ist den nationalsozialistischen Wirtschaftspolitikern klar, dass die von Adolf Hitler angestrebte
Aufrüstung ohne die Sicherung einer soliden Rohstoffbasis, möglichst im eigenen Land, nicht zu leisten ist. Deshalb geraten auch die
Erzlagerstätten und Hüttenstandorte im Harz und insbesondere das Erzbergwerk Rammelsberg bei Goslar mit der Förderung von Bleiglanz,
Zinkblende, Kupferkies und Schwerspat sowie der Gewinnung von Silber und Gold schnell in den Fokus der NS-Regierung. Die Frage des
Ausbaus der Bergwerksanlagen für die Erzielung einer Unabhängigkeit von ausländischen Erzeinfuhren wird ganz offen mit der politischen
Wirkung durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und der Bekämpfung der Bedrohung der deutschen Wirtschaft durch die angebliche beherrschende
Stellung der Juden in der Rohstoffwirtschaft verbunden.
Zur Modernisierung des Erzbergwerks Rammelsberg und des Hüttenstandorts in Oker legt das NS-Regime ein regionales
Investitionsprogramm von über 30 Millionen Reichsmark auf. Die zur Preussag
gehörende Betreiberin des Erzbergwerks Rammelsberg, die
Unterharzer Berg- und Hüttenwerke G.m.b.H.
und deren Geschäftsführer Paul Ferdinand Hast sowie der Direktor des Erzbergwerks, Hans-Hermann von Scotti,
sprechen bei dem Investitionsprogramm frühzeitig von einem „Rammelsberg-Projekt“.
Darüber hinaus subventionierte der NS-Staat durch Zahlung von Förderprämien auch noch die Differenz zwischen den Kosten der Erzgewinnung
des Bergwerks und des Hüttenbetriebs und den auf dem Weltmarkt zu erzielenden Preisen für Nichteisenmetalle. Es fand quasi eine Rückwälzung
der Verluste über die jeweiligen Produktionsstufen auf das Reich statt. Die Missachtung aller Prinzipien der Wirtschaftlichkeit belegt,
wie rigoros die NS-Regierung ihr Streben nach Autarkie verfolgte.
Angesichts dieser Bestrebungen und des Ziels, in wenigen Jahren die deutsche Wehrmacht für einen Krieg aufzurüsten, bestand ein erheblicher
Zeitdruck. Im Mai 1935 brachte der Beauftragte Adolf Hitlers für Wirtschaftsfragen, Wilhelm Keppler, zum Ausdruck, mit dem Neubau der Tagesanlagen
am Erzbergwerk Rammelsberg zu beginnen, um die Rohstoffversorgung im eigenen Land zu sichern. Unter der Leitung des Ministerpräsidenten des
Landes Braunschweig, Dietrich Klagges, der über gute Kontakte zur NS-Regierung verfügte, begannen die Preussag und die Unterharzer
Berg- und Hüttenwerke schnell mit der Planung und Umsetzung der neuen Bergwerks- und Hüttenanlagen.
In der Blei-, Zink- und Kupfergewinnung wurden in die 1920er Jahren verschiedene Aufbereitungsverfahren entwickelt, von denen die sogenannte
Schwimmaufbereitung (Flotationsverfahren) eingeführt wurde. Nicht zufällig kam im Juli 1933 durch Unterstützung des Maschinenbauunternehmens
Krupp-Grusonwerke aus Magdeburg die Dissertation des späteren Betriebsleiters des Erzbergwerkes Rammelsberg Emil Kraume,
über die „Schwimmaufbereitung von Rammelsberger Blei-Zink-Erz heraus. Die Krupp-Grusonwerke lieferten die wesentlichen Anlagenteile der neuen Aufbereitung.
Mit den Forschungen von Emil Kraume konnte durch die Aufbereitung am Erzbergwerk Rammelsberg nun sowohl ein Blei- als auch ein Zinkkonzentrat erzeugt und
dann auch ein neues Zinkverhüttungsverfahren eingeführt werde. Die nationalsozialistische Industriepolitik knüpfte an diese Kenntnisse an und nutzte die
technische Innovation zur Kriegsvorbereitung.
Bereits im Herbst 1936 wurde ein Bauabschnitt der neuen Erzaufbereitungsanlage abgeschlossen und das erste Blei-Zink-Konzentrat verließ das Bergwerk über
eine unterirdische Bahnstrecke, dem Gelenbeeker Stollen, Richtung Hüttenwerk Oker. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden 1939 alle Gebäudeteile
der Aufbereitungsanlage fertiggestellt.
Nachdem 1938 der neue Rammelsberg-Schacht abgeteuft worden war, gehörte die Aufbereitungsanlage Ende der 1930er Jahre zu den modernsten
Einrichtungen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Sie blieb bis zur Schließung des Erzbergwerkes 1988 in Betrieb. In einzelnen Bereichen wurde
lediglich die Maschinentechnik modernisiert oder Verfahrensschritte verändert. Nationalsozialistische Industriepolitik bildete noch weit nach 1945
am Erzbergwerk Rammelsberg die Grundlage für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung in der Nachkriegszeit.